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Hinter Stacheldraht
2003

Frank Sieben

Die Kunst der Klaviertranskription, wie sie im 19. Jahrhundert durch Franz Liszt zur Blüte gelangte und von Ferruccio Busoni, Leopold Godowsky und anderen weiterentwickelt wurde, ist in den Bearbei­tungen von Kaikhosru Sorabji (1892-1982) nur noch als ferne ästhetische Ausgangs­position wahrnehmbar. Die musikalischen Vorlagen transformiert Sorabji nie in bril­lante pianistische Kunststücke, deren Fin­gerartistik ein Publikum in staunendes Ent­zücken versetzt. Eher das Gegenteil ist der Fall: Der anglo-parsische Komponist miss­traut zutiefst dem virtuosen Zauber wie ei­nem unvermittelten ,,romantischen Ge­fühl". Seine ,,Passegiata Veneziana" etwa, ein mehrteiliges zwanzigminütiges Werk von 1956, das auf Offenbachs Barkarole aus ,,Hoffmanns Erzählungen" basiert, verwan­delt die liebliche Idylle in einen von emotio­nalen Abgründen durchzogenen imaginären Horrortrip durch die Lagunenstadt. Grandios, wie er Bachs ,,Chromatische Fan­tasie" and die d-Moll-Fuge BWV 948 har­monisch weiterdenkt and gleichsam ver­vollständigt oder Chopins Minutenwalzer in eine Klang-wuchernde Monstrosität verwan­delt. Sich nie dem Geschmack der Zuhörer anbiedernd, erscheinen seine Bearbeitun­gen wie hinter einem dicken Stacheldraht. der die Musik vor leichtfertigem Konsumge­nuss schützt.

Michael Habermann, ein exzellenter Ken­ner von Sorabjis Werk, spielt diese aberwit­zig komplizierten Bearbeitungen nicht nur technisch souverän, sondern stellt sich auch dem oft beunruhigenden geistigen Gehalt, der bis in die Regionen musikalisch-patho­logischer Verstörung führen kann. Eine wichtige Veröffentlichung, die dem sperri­gen Aubenseiter Sorabji die verdiente Auf­merksamkeit widmet.

Interpretation *****
Klang *****

Sorabji, Transkriptionen von Werken Bachs, Chopins, Offenbachs and Ravels;
Michael Habermann (2001)
BIS/Klassik Center CD 1306 (68')


Copyright ©2003 by Frank Siebert, all rights reserved.
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